Thesen trollen trompeten

Thesen, Trollen & Trompeten: Matthias Lenssen über Purpose, Coaching
Gott (Gendersternchen) und die Welt

Daniel Herrmann

Geschätzter Matthias,

Du hast mal gesagt, dass Dir der ganze Workshop-Kram nichts mehr bringt und Du Dich erst mal auf individuelles Coaching konzentrieren möchtest.

Was ziehst Du da – außer Diamanten und Goldbarren – raus?

Lieber Daniel,

das 1:1 Coaching ist im Gegensatz zum Facilitieren eines Workshops für mich wesentlich intensiver und man dringt schneller zu den essentiellen Themen durch. Zudem lerne ich Menschen auf eine sehr direkte Weise kennen. Da es sich auch außerhalb des Corporate Kontexts bewegt, habe ich das Gefühl es ist etwas nachhaltiger für den Coachees und somit auch für mich. Die „Workshopwelt“ ist zu Teilen auch eine Pseudowelt, die mehr Schein als Sein ist.

lg
Matthias

Daniel Herrmann

Lieber Matthias,

spannend und Anknüpfungspunkt für weitere Fragen. Ich taste mich mal „Faden für Faden“ durch.

1. Das 1:1 Coaching ist wesentlich intensiver und nachhaltiger für die Coachees. Kann ich nachvollziehen. Um ein intensives Level zu erreichen musst Du viel Energie aufwenden. Irgendwo habe ich mal zum Thema Therapie oder Coaching gelesen, dass der Patient/Coachee mindestens 50% der Energie aufbringen muss, die notwendig ist, um „erfolgreich“ zu sein. Das heißt aber auch, dass der Erfolg „ganz“ am Ende des Prozesses eher von Deinem Coachee als von Dir abhängt. Wie gehst Du damit um, wenn der Coachee nicht genug investiert, um Deinen Input zu nutzen? Filterst Du die Coachees? Und wie definierst Du Erfolg für Dich und wie bewertest Du Deine Leistung? Es kann ja schließlich sein, dass Du alles gegeben und alles richtig gemacht hast und trotzdem am Ende kein lebenswerter Purpose rauskommt.

2. Workshopwelt als Pseudowelten oder künstliche Systeme, deren Ergebnisse nie praktische Relevanz erreichen kann ich gut nachvollziehen. Aber es gibt kritische Stimmen, die das auch über die (größeren Teile der) Coaching-Industrie sagen: Esoterischer Bullshit ohne jede wissenschaftliche Grundlage. Wie grenzt Du Dich da ab? Wie stellst Du sicher, dass Deine Coachings Wirkung entfalten? Also in im Alltag Deiner Coachees und nicht nur im Kopf.

Wie gehst Du damit um, wenn der Coachee nicht genug investiert, um Deinen Input zu nutzen? Filterst Du die Coachees? Und wie definierst Du Erfolg für Dich und wie bewertest Du Deine Leistung?

Ich würde mich nicht scheuen ein Coaching abzubrechen, wenn ich merke, dass der Coachee nicht genug investiert. In unserem Kurs ist das auch schon vorgekommen. Zwar nicht bei mir, aber ich würde das für mich nicht ausschließen. Wichtig für uns ist, dass wir ein Gefühl dafür entwickeln, wer couchbar ist und wer eigentlich eine Therapie braucht – denn dafür sind wir nicht die Richtigen.

Erfolgreich fühle ich mich, wenn ich merke, dass beim Coachee Emotionen entstehen und etwas „Echtes“ erkannt wird. Eine kleine Wahrheit sozusagen. Meine Leistung bewerte ich nach dem Feedback des Coachees. Ich fordere echtes Feedback ein und merke so, ob ich eine Wirkung erzielt habe oder nicht.

Wie grenzt Du Dich da ab? Wie stellst Du sicher, dass Deine Coachings Wirkung entfalten?

Das Coaching verpufft genauso wie ein Workshop, wenn der Coachee es nicht schafft das Purpose-Tool, das wir mit ihm zum Leben erwecken, am Leben zu halten. Es reicht nicht aus, ein cooles Kochbuch zu kaufen, wenn man sich gesund ernähren möchte. Wir kontaktieren unsere Coachees zu späteren Zeitpunkten und Fragen nach und bauen eine Peer-to-Peer Practitioner Community auf. So machen wir das Thema im Leben unserer Coachees präsenter.

Daniel Herrmann

Wenn Du es schaffst, innerhalb von 12 Minuten zurückzuschreiben, sind wir hier noch nicht „deep“ genug.


Meine Redaktion hat mir noch ein paar Fragen mit zunehmender Gemeinheit vorbereitet. Aber erst mal nett bleiben.


1. Du schreibst, dass Du die mit dem Purpose-Coaching nicht mehr im „Corporate Konext“ bewegst. Ist das so? Wie viele Deiner Kunden sind denn frei und wie viele arbeiten ganz normal in der guten alten deutschen Realwirtschaft? Macht es da wirklich einen Unterschied, ob der Teilnehmer den Workshop privat oder über die Firma bucht?


2. Du warst früher Design Thinker (vielleicht bist Du es auch immer noch) und hilfst jetzt Menschen, ihren Purpose zu finden. Zwei große Trends, der erste ist schon wieder Schnee von gestern. Reitest Du gerade nur auf einer Hype-Welle und in zwei Jahren reden die Leute über Purpose wie über Inline-Skaten und Lederschlipse? Oder was macht das Thema beständiger als andere Trends?

Hab ich jetzt die Frist verpackt? Ist das Gespräch beendet? Daher in aller Schnelle:


Zu 1.: Ich würde sagen es ist 50:50. Ich bewege mich zwar im indirekt hier und da im Corporate Kontext, der Hebel über die Person ist aber wesentlich stärker gefühlt. Zudem machen wie gesagt auch viele Selbstständige das Coaching.

Zu 2.: Die Herleitung des Purpose Themas erfordert jetzt zu viel Zeit. Grob gesagt sind wir Menschen zur Vorherrschenden Spezies geworden, weil wir in der Lage sind durch eine gemeinsame Sprache gemeinsame Mythen zu entwickeln und an diese zu Glauben. Der Höhere Sinn durch Götter war lange die wichtigste Konstante der Menschen. Seit der Renaissance hat das stark abgenommen, zumindest in den westlichen Gefilden. Der Sinn ist uns abhandengekommen durch einen Beschleunigungs- und Maximierungswahn. Die Probleme haben auf globaler Ebene stark zugenommen, daher glaube ich, dass ein Zeitalter des Sinns erforderlich ist, um diese zu lösen. Daher hoffe ich stark, dass es kein flüchtiger Trend ist, sondern Teil eines globalen Bewusstseinswandels.

Daniel Herrmann

So, jetzt wäre mir fast die Puste ausgegangen.


Purpose als menschliches Grundbedürfnis oder mindestens als Grundpfeiler der menschlichen Kultur. Sowie bei Geschichten, Narrativen, Storytelling. Oder wie Spiel (Play) und Homo Ludens für mich. Das gefällt mir.


Noch mal ein paar andere Fragen:


Du schreibst zwar, dass Du Dich jetzt außerhalb des Corporate-Context bewegst. In vorherigen Gesprächen mit Dir hatte ich oftmals das Gefühl, dass Du schon das Bedürfnis hast, die Welt „ein bisschen besser zu machen.“ Oder mindestens unsere Arbeitswelt ein bisschen lebenswerter zu machen. Du arbeitest ja auch mit Nowpow an alternativen Lebens- und Arbeitskonzepten, die heute definitiv noch kein Mainstream sind, aber wenn es gut läuft, mal Mainstream werden könnten. Wenn ich Dich richtig verstanden habe, hat Dir bei vielen Workshops und Workshopreihen die Veränderung in den Unternehmen Deiner Kunden nicht ausgereicht. Fehlt zu vielen Unternehmen einfach der Wille zu einer echten Transformation? Oder fehlten Euch auch Kompetenzen im Change Management und eigene Erfahrungen in konventionellen Organisationen?

Ihr konntet und könnt auf der einen Seite als „freie Radikale“ natürlich starke Impulse geben, aber auf der anderen Seite erfordern Transformationen in Unternehmen auch einen langen Atem. Und Verständnis für die Menschen, die sich nicht ändern wollen, schadet gewiss nicht.


Müsstet Ihr für eine Veränderung der Arbeitswelt näher an die etablierten Unternehmen ran, also Ihnen ähnlicher werden, damit diese Eure Ideen annehmen können? Oder müsstet ihr nicht eigentlich noch viel radikaler werden und auf Verbindungen zu konventionellen Unternehmen komplett verzichten?

Fehlt zu vielen Unternehmen einfach der Wille zu einer echten Transformation?


Das ist ein vielschichtiges Thema. Kurz geantwortet glaube ich, dass nicht der Wille fehlt, aber dass die Unternehmen in Systemen und Abhängigkeiten stecken, die echte Transformation extrem schwer machen. Profitorientierte Wachstum um jeden Preis Glaubenssätze zementieren eine Denke, die jenseits von jeder Vernunft ist.


Diejenigen, die transformieren wollen in Unternehmen haben es schwer und ich kenne viele, denen die Puste in diesem Kampf ausgegangen ist.


Oder fehlten Euch auch Kompetenzen im Change Management und eigene Erfahrungen in konventionellen Organisationen?


Beides haben wir nur aus zweiter Hand beobachtet, daher fehlt hier mit Sicherheit sowohl die Kompetenz auf vielen Ebenen, als auch die Motivation die konventionelle Denke der Unternehmen genau zu durchdringen. 🙂


Müsstet Ihr für eine Veränderung der Arbeitswelt näher an die etablierten Unternehmen ran, also Ihnen ähnlicher werden, damit diese Eure Ideen annehmen können? Oder müsstet ihr nicht eigentlich noch viel radikaler werden und auf Verbindungen zu konventionellen Unternehmen komplett verzichten?


Der einzige Weg kann sein etwas anderes vorzuleben und so wenigstens hier und da einen Impuls zu geben. Ganz abkapseln würde ich mich nicht, da ich ein Freund von Offenheit und Brücken bin. Unser Ansatz ist ja, die Unternehmen an Orte einzuladen, die menschlicher, artgerechter und gesünder sind. Das ist unser Beitrag etwas Veränderung durch das Erleben des Anderen zu bewirken. Steter nowpow höhlt den Stein. 🙂

Daniel Herrmann

Eigentlich hatte ich noch mehr Fragen, aber das ist so ein gutes Schlusswort, dass ich nur noch eins schreiben kann: „Ich muss weg!“

Wer schreibt hier ungefragt und besetzt den öffentlichen Digitalraum wie ein vierzehnjähriger Sprayer?

Matthias Lenssen ist (also er bezeichnet sich selber so) Ideenfinder und -umsetzer | Purpose Coach | Design Thinking Dozent | „Leben & Arbeiten“ Neudenker

Wer will, kann hier mehr erfahren:

Daniel Herrmann ist Grenzgänger zwischen den Welten Produkt- und Organisationsentwicklung zwischen Spiel und Wirtschaft.

Das hier ist mein zweites Blog. Meinen alten Kram (vieles ist mir heute peinlich) findet Ihr unter nalu.digital 

Auf Serious PlayScape könnt Ihr mehr über meine Workshops mit LEGO lesen.

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