Innovationsframeworks – Game Thinking, Human-centered Design und Co.

Innovationsframeworks - Game Thinking, Human-centered Design und Co.

Innovationsframeworks sind wie Meinungen – fast jeder hat eine. Wir bilden da keine Ausnahme. Gerade Berater wollen mit eigenen Frameworks sich und ihr Leistungsangebot gerne von der Konkurrenz abheben. Für manche Außenstehende sieht das dann nach Bullshit-Bingo oder akademischer Nabelschau aus. Andere wiederum sind dankbar für neue Frameworks, mit denen sie die eigenen Gedanken zum Thema Innovation besser einordnen und weiterentwickeln können. Aber fast jeder, der sich mit dem Thema Innovation auseinandersetzt und auf ein neues Framework stößt, hat das Gefühl „das habe ich doch schonmal irgendwo gehört.“ Viele Erfolgsrezepte im Bereich Innovation basieren auf gesundem Menschenverstand, der endlich auch im nicht immer nach logischen Prinzipien agierenden „System Unternehmen“ angewendet werden soll. Bahnbrechende neue Konzepte für Produktentwicklung zu finden ist fast unmöglich. Wie grenzt sich nun Game Thinking von anderen Frameworks ab und warum glauben wir, dass es eine Daseinsberechtigung hat?

 
 

Was (müssen) alle Innovationsframeworks gemeinsam haben?

Wenn wir das Pferd von hinten aufzäumen ist klar: Ein Innovationsframework ist nur dann mehr als heiße Luft, wenn am Ende innovative Produkte rauskommen. In meiner Definition ist eine Innovation eine aus einer Idee resultierende Erfindung oder Veränderung von Prozessen, Produkten und Erlebnissen (experiences), die ihr Nutzenversprechen im praktischen Einsatz einlöst. Damit grenzt sich Innovation von einer bloßen Neuerung (novelty) ab. Schaut man auf das klassische Venn-Diagramm des Produktmanagements, sind diese Produkte vom Nutzer gewünscht (desirable), technisch machbar (feasible) und wirtschaftlich tragfähig (viable). Für mich müssen diese Produkte zudem noch sinnstiftend (meaningful) sein. Deshalb erweitere ich das Diagramm um die erwähnte Dimension der Sinnstiftung.

Grundsätzlich müssen Teams in allen Frameworks zu einem jeweils unterschiedlichen Zeitpunkt im Entwicklungsprozess beweisen, dass ihr Produkt mindestens gewünscht, machbar und wirtschaftlich ist. In manchen Frameworks muss sich auch beweisen, dass das Produkt sinnstiftend ist. Das heißt, aus Perspektive des eigenen Wertekanons muss die Innovation die Welt zu einem besseren Ort machen. Es geht also nicht um die 300. Zahnpasta oder vergoldete Kloschüsseln, sondern um Enkelfähigkeit. Des Weiteren sind folgende Fragen zu klären: um welche Innovationsframeworks geht es überhaupt, was zeichnet diese aus und wie unterscheiden sie sich voneinander?

 
 

Empathy-driven Innovation


Innovation geht vom Nutzer aus. Designer müssen Bedürfnisse enthüllen und für Innovation nutzen. Zu Beginn gibt es eine Idee auf Basis des offengelegten Bedürfnisses. Im weiteren Prozess müssen Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft werden.
Hierbei geht es nicht darum, den Nutzer zu fragen „was er will“, sondern durch Beobachtungen Bedürfnisse zu identifizieren und daraufhin Ideen abzuleiten. Bedürfnisse, die dem Nutzer nicht bewusst sind, haben dabei besonders großes Potential. Überspitzt gesagt können Produktentwicklungen, die nicht von Nutzern ausgehen, nur zufällig erfolgreich sein.
Ausprägungen der Kategorie von Empathie-getriebenen Innovationsframeworks sind zum Beispiel Human-centered Design bzw. Design Thinking.

Technology-driven innovation

Innovation geht von Entwicklern aus. Sie haben zum Beispiel eine Technologie, die einen größeren Mehrwert für Nutzer verspricht und sucht Anwendungsfelder für diese Technologie. Oder der Entwickler antizipiert Veränderungen von Rahmenbedingungen, die dazu führen können, dass eine Technologie in Zukunft einen höheren Nutzen hat. 3M ist mit diesem Ansatz seit langer Zeit erfolgreich. Im Deutschland des Jahres 2020 sind positive Beispiele 3D-Drucker und künstliche Intelligenz. Negative Beispiele sind Industrie 4.0, Elektroautos, Blockchain und Smart-Cities.

 
 

Trend-driven Innovation

Innovation geht in erster Linie vom Entwickler aus. Es muss aber ein Anknüpfungspunkt an Grundbedürfnisse der Nutzer gefunden werden.  Primäres Ziel sind Innovationen, die langfristig wirtschaftlich sind. Trend-driven Innovation berücksichtig auch den Aspekt des richtigen Timings von erfolgreichen Innovationen.

Innovation of Meaning

Innovation geht vom Entwickler aus. Die Welt ist übervoll mit Produkten und bietet Anlass für Konsumkritik. Der Entwickler muss etwas finden, dass ihm Sinn stiftet und begeistert. Häufig finden das auch andere sinnvoll. Wenn er seine Idee mit Begeisterung und Köpfchen verfolgt, gibt es großes Potential für echte Innovation.

Game Design

Innovation geht von Entwicklern aus. Die Herangehensweisen schwanken zwischen zwei Extrempolen: Auf der einen Seite steht der Wunsch, Geschichten zu erzählen im Fokus. Das Team sucht nach Mechaniken, die die Erzählung unterstützen. Auf der anderen Seite stehen eine vielversprechende Mechanik bzw. ein begeisternder Game Loop im Fokus, die das Kernelement eines neuen Spiels bilden. Im Idealfall gibt es eine Kommunikation und gegenseitig Befruchtung von Mechanik und Geschichte. Der Spieler ist durch Playtesting bereits ab einem sehr frühen Stadium als Teil der Entwicklung.

Game Thinking – oder narrative-driven Innovation

Die Nutzer und ihre Emotionen sind das Zentrum, um welches die Entwicklung in den Phasen Idee/Konzept, Prototyping, User Research/Playtesting kreist. Nutzer und Innovation sind über ein schlüssiges Narrativ miteinander verbunden. Das Narrativ stellt sicher, dass der Nutzer Zugang zum Produkt findet, in dem es Anknüpfungspunkte zwischen dem Produkt und dessen Eigenschaften an die identifizierten/vermuteten Bedürfnisse der Nutzer bietet. Gleichzeitig kann mit der Geschichte überprüft werden, ob Entwicklung der Innovation sinnstiftend sein kann und das Entwicklungsteam/das Unternehmen die Produktvision glaubhaft vertreten kann und möchte.


Game Thinking geht bestehende Probleme oder neue Themen grundsätzlich spielerisch an. Dementsprechend kann ein Projekt nicht nur mit User Research beginnen, sondern auch mit Ideen oder dem Bau von Prototypen.
Beginnt ein Projekt mit User Research, wird es in der Regel bewusst in Gang gesetzt. Die Emotionen und Bedürfnisse einer Nutzergruppe werden in einem wissentlich abgegrenzten Kontext untersucht. Es gibt diese Menschen mit Bedürfnissen, wenn sie etwas Bestimmtes machen. Was könnten wir für sie tun?
Ein Projekt, bei dem eine Idee am Anfang steht, fußt zum Beispiel auf der Verknüpfung von vorhandenem Wissen. Es gibt aber nur wenige Daten, dafür umso mehr Hypothesen. Ein Beispiel: Menschen lieben Fußball und Autos. Ein Spiel, das beides verbindet, hat große Erfolgschancen. Rocket League ist geboren. Ein anderes Beispiel: Menschen lieben Pokémon Go. Unsere Mitarbeiter sind den ganzen Tag zu Fuß unterwegs. Wir sollten unsere Software so anpassen, dass sie sich bei der Arbeit wie Pokémon-Trainer fühlen.


Beginnt ein Projekt mit einem Prototyp, steht häufig der Prozess des Bauens im Fokus. Jemand möchte zum Beispiel lernen, wie man etwas mit einer bestimmen Technologie entwickelt oder baut. Zeigen Nutzer im Playtesting Begeisterung für den Prototyp, sucht das Team nach Anwendungsfällen. Vereinfacht gesagt, lautet die Argumentation wie folgt: Ich habe etwas gebaut und es macht mir Spaß. Jetzt teste ich, ob es auch anderen Spaß macht. Dann entwickle ich Ideen für Use Cases.
Der Kreislauf hat damit keinen festen Beginn, aber durchläuft kontinuierlich die Phasen Idee/Konzept – Prototype – User Research/Playtesting.


Egal wie ein Innovationsprojekt startet, bei jedem Durchlauf wird überprüft, ob die Idee viable, feasible und desirable ist und, ob das Narrativ noch stimmig und damit das Projekt meaningful ist.
Das Projekt kreist um den Nutzer, wie eine kosmische Staubwolke, die bei jeder Umrundung solider wird. Ideen werden verfestigt, andere verfliegen, neue kommen hinzu. Am Ende hat man einen neuen Mond. Die Geschichte ist dabei das Kraftfeld, dass Nutzer und Innovation miteinander verbinden.
In jedem Umlauf, das heißt mit jedem Sprint, entwickelt das Team testbare Inkremente und sammelt Daten. Es wird transparent gemacht, was man weiß, welche Hypothesen vorherrschen und wo blinde Flecken vermutet werden.


Ein ausgewogenes Verhältnis der Phasen ist genauso wichtig wie eine angemessene Länge für jeden Zyklus. Je weniger man weiß, desto kürzer sollte ein Sprint insgesamt sein und desto höher sollte der Anteil für Playtesting sein.

 
 

Fazit

Innovationsframeworks haben viele Gemeinsamkeiten. Die wichtigsten hier betrachteten Unterschiede betreffen jeweils den Ausgangspunkt von Innovation: Trägt der Nutzer die Innovation bereits in sich und der Designer enthüllt sie? Oder schafft der Designer Neues und bietet dem Nutzer Ansatzpunkte, um eine Verbindung zu (neuen) Bedürfnissen der Nutzer zu schaffen?

Über den Autor

Daniel Herrmann

Ehemaliger Business-Kasper | Ausgewildertes Spielkind

Ich bin Game Thinker, Consultant und fanatischer Anhänger der Theorie Y. Meine Frau findet mich unfreiwillig komisch. Maximal 2 von 100 Menschen werden in Gesprächen mit mir dümmer.

Co-Founder von Monokel Consulting, Serious PlayScape und RokaEnergy.

 
 

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