Spielerisch die Welt retten - warum Spielen ökonomisch und gesellschaftlich sinnvoll ist
Wenn wir mit Menschen das erste Mal über Game Thinking reden, lösen wir oft Verwunderung aus: „Euch bezahlen Leute für’s Spielen? Und es gibt Folgeaufträge?“ Sogar meine Frau – eine Juristin – fragt mich „Gehst Du heute richtig arbeiten oder habt ihr wieder Spieletag?“ Wir sind keine abgebrühten Trickbetrüger, die Aktionäre um ihre Dividende bringen. Spielen im beruflichen Kontext stiftet Wert für „die Spieler“, ihre Organisationen und die Gesellschaft als Ganzes. Ich sage oft, dass Game Thinking nach Ponyhof klingt, aber handfeste Vorteile hat. Aber warum brauchen wir gerade in Zeiten der digitalen Transformation Playful Organizations, Economies und Societies? Ausgehend von vier Thesen zum Wesen von Digitalisierung und Spiel komme ich zum Schluss, dass nur spielende Organisationen langfristig innovativ genug sind.
These 1: Alles, was digitalisiert werden kann wird digitalisiert.
Durch künstliche Intelligenz erledigen Maschinen auch zunehmend komplexe analytische Tätigkeiten besser als Menschen. Menschen können diese Tätigkeiten zwar weiterhin ausüben, aber nicht effizienter als Maschinen. Nur zutiefst menschliche Tätigkeiten, die ein Höchstmaß an Empathie und Kreativität verlangen, werden in Zukunft durch Menschen wirtschaftlicher ausgeübt.
These 2: Spielen ist ein zutiefst menschliches Verhalten.
Es gibt weder individuelle Entwicklung noch menschliche Kultur ohne Spiel. Individuelles Spielen ist essenziell für das Erlernen von fast allen menschlichen Fähigkeiten und die Entwicklung von emotional gesunden Menschen.
Archäologische Ausgrabungen weisen auf die Bedeutung von Spiel über die gesamte Entwicklung des Menschen hin. Kulturhistoriker vertreten die Ansicht, dass sich kulturelle Systeme aus spielerischen Verhaltensweisen der Selbstorganisation entwickelt haben. Erst im Zeitverlauf wurden die spielerisch entwickelten Mechanismen zu sanktionsfähigen Regeln und scheinbar unveränderbar.
These 3: Spielen steigert die Kreativität und hat die Macht, soziale Systeme zu verändern.
Kreative Lösungen sind erforderlich, wenn Menschen auf Herausforderungen treffen, in denen bestehende Prozesse und Routinen nicht weiterhelfen. In vielen Spielen wird eingeübt, flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Die erworbene Flexibilität überträgt sich auch auf andere Situationen. Dies ist nicht nur für Menschen nachgewiesen, sondern für die gesamte Klasse der Säugetiere.
Es gibt Statistiken, die darauf hinweisen, dass Brainstorming in Teams bis zu 50% mehr Output generiert als die getrennte Entwicklung von Ideen. Es gibt aber auch andere Studien, die darauf hinweisen, dass introvertierte Mitarbeiter beim Brainstorming in Gruppen ihr Kreativpotential nicht ausschöpfen. Dies liegt vor allem daran, dass sie in diesen Situationen Stresshormone ausschütten, die ihre Kreativität auf neurologischer Ebene drosseln. Spielerische Elemente in Kreativprozessen können den Stresslevel der Teilnehmer deutlich reduzieren und so Gruppen kreativer machen.
Spielen kann Systeme auf verschiedene Weisen verändern. Zum Beispiel werden in spielerischen Situationen bestehende Hierarchien bewusst aufgelöst. Für die Zeit des Spiels gelten die Regeln außerhalb des Spiels nicht mehr. Spieler erfahren ein Gefühl der Selbstermächtigung und gewinnen eine neue Handlungsmacht. In vielen Situationen werden Regeln ständig neu zwischen Spielern verhandelt. Gerade im freien Spiel ist die Entwicklung von neuen Regeln elementarer Bestandteil des Spiels. Dies kann z.B. dazu führen, dass Kollegen, die gemeinsam spielen, auch in betrieblichen Situationen Regeln und Rollen infrage stellen. Gemeinsames Spielen fördert das häufig bemühte „Querdenken“.
These 4: Spielen als Selbstzweck wurde aus der Wirtschaft verbannt.
Die eindimensionalen Industriegesellschaften lassen nicht genug Raum für Ganzheit und autonome Selbstentfaltung. Spielen ist nur akzeptiert, wenn es einer ökonomischen Maxime folgt. Es ist vor allem Mittel zum Zweck, um effizienter zu lernen.
Es gibt in der Digitalökonomie Gegenbeispiele, die einen Trend zu einer Gamification von Arbeit andeuten. Sichtbare Artefakte sind die berühmt-berüchtigten Rutschen und Kickertische im Büro. Allerdings handelt es sich hier erstens um neue Praktiken, die noch weit weg vom Mainstream sind. Zweitens bedeuten Spielgeräte im Büro nicht zwangsläufig, dass Arbeit zuerst spielerisch verstanden wird. Drittens lautet die interne Gleichung häufig „Mehr Spiel = Mehr Gewinn.“ Spielen ist auch hier keine Tätigkeit, die ihren Wert in sich selbst hat.
Schlussfolgerung: Wir müssen mehr spielen.
In der digitalen Transformation laufen Veränderungen schneller ab als gewohnt und werden weite Teile unserer Wirtschaft auf Kopf stellen. Veränderung wird das neue Normal.
Spielen ist aus evolutionstheoretischer Perspektive ein erfolgreicher Weg, um die Adaptionsfähigkeit von Individuen und Gruppen zu erhöhen – frei von Druck, definierten Zielen und klaren Beziehungen zwischen Ressourceneinsatz und Ergebnissen. Organisationen, die Spielen zum festen Bestandteil ihrer Kultur machen, können schneller und intuitiver auf Veränderungen reagieren als konventionelle Organisationen.
Wer die Position unserer Wirtschaft als führende Technologienation oder die Marktposition eines einzelnen innovativen Unternehmens langfristig während der digitalen Transformation behaupten will, muss Organisationen spielerisch verändern bzw. zu einen Playful System machen.
Zum einem, weil dadurch die Fähigkeiten für kreative Problemlösung als Grundlage für Innovation verbessert werden. Zum anderen, weil spielen auch in Phasen, in denen gerade keine ökonomisch sinnvolle Beschäftigung verfügbar ist, eine sinnstiftende Beschäftigung ermöglicht. Auch hier könnte man ökonomisch argumentieren: In diesen Phasen erwerben Mitarbeiter spielerisch neues Wissen und erhalten kognitive und soziale Fähigkeiten.
Wenn es aber tatsächlich weniger Arbeit für alle Menschen gibt, gibt Spielen Menschen die Möglichkeit, die zusätzliche Freizeit durch spielerische Aktivitäten erfüllend zu gestalten. Playful Organizations und Playful Societies sind der Gegenentwurf zur Dystopie einer digitalisierten Gesellschaft mit kaum durchlässigen Schichten: Einer prekären Unterschicht, die in der Endlosschleife der digitalen Medien verwahrlost, einer kreativen Mittelschicht und einer Oberschicht, die jetzt mit Ihrem Kapital die digitale Transformation finanziert und in Zukunft noch besser davon lebt als heute.
Über den Autor
Daniel Herrmann
Ehemaliger Business-Kasper | Ausgewildertes Spielkind
Ich bin Game Thinker, Consultant und fanatischer Anhänger der Theorie Y. Meine Frau findet mich unfreiwillig komisch. Maximal 2 von 100 Menschen werden in Gesprächen mit mir dümmer.
Co-Founder von Monokel Consulting, Serious PlayScape und RokaEnergy.
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